Blickpunkte am Wegesrand
Pandora
Bis Anfang des Jahres 2011 präsentierte sich im Kreuzungsbereich Moerser- und Duisburger Straße in Homberg die Skulptur „Pandora“, die leider von dreisten Dieben gestohlen wurde, um sie zu einem Schrottpreis zu veräußern.
Falls Sie konkrete Hinweise zur Aufklärung des Diebstahls beitragen können, würde das natürlich vertraulich behandelt; eine Belohnung ist vermutlich nicht ausgeschlossen.
Die von Edwin Scharff (1887 – 1955) aus Bronze geschaffene Figur (239 x 54 x 56 cm) entstand Anfang der fünfziger Jahre und wird in Unterlagen des Wilhelm-Lehmbruck-Museums wie folgt beschrieben:
„Auf rechteckigen, nach hinten leicht ansteigendem Sockel steht die streng axial ausgerichtete und auf Vorderansicht komponierte Frauenfigur. Die Beine des wuchtigen Körpers sind wie bei Lehmbruck-Plastiken von einem enganliegenden Gewandstück bedeckt. Das linke Bein ist angewinkelt. Die überkreuzten Hände auf dem Rücken verschränkten Arme raffen die Stoffbahnen knotenförmig zusammen. Die Hände bleiben unsichtbar. Die Säume des Gewandes fallen treppenförmig herab und gehen in den Sockel über. Die gesamte Figur ist in festen Umrissen eingebunden, jede ausgreifende Gestik ist zurückgenommen. Den leicht nach hinten geneigten Oberkörper überragt der majestätisch in der Höhe gerichtete Kopf mit dem seherisch ins Leere schauenden Blick der geschlossenen Augen. Scharfe Kanten, Unebenheiten und Geraden sind vermieden. Schmiegsame Modellierung bindet die massiven Körperformen zusammen. Die gesamte Figur kennzeichnet verschlossene Strenge, unverrückbare Wucht und eine puristische Kühle.“
Die Monumentalplastik gehört zu den charakteristischsten Arbeiten im Spätwerk von Scharff. Die Figur geht formal auf frühere, sehr viel kleinere Werke zurück wie die „Kore“ (Mädchenfigur) von 1929. Auch hatte Scharff 1952/53 eine gleich große unbekleidete Bronzefigur der „Pandora“ ausgeführt. Zur gleichen Zeit entstand als Alternative das Gipsmodell zu dieser bekleideten „Pandora“ die im Hamburger Atelier entstand und erst 1956 in Bronze gegossen wurde. Scharff verbindet somit in dieser „Pandora“ rückblickend auf sein Gesamtwerk das Thema hoheitsvoller unpersönlicher Frauengestalten mit dem Gedanken eines denkmalartigen Götterbildes. Die menschliche „Wärme“ der „Koren“ weicht nun aber einer unnahbaren, mit seherischen Kräften ausgestatteten Personifikation des Schicksals. „Blicklose Schicksalsbotschaften“wurden derartige Frauengestalten Scharffs genannt.
Die Pandora des griechischen Mythos ist eine solche Unheilsgöttin. Ihr Bild stellt man sich aus Eisen vor. Sie ist nach dem Mythos im Besitz eines Gefäßes, der „Büchse der Pandora“, aus der über die Erde alle Übel der Welt ausgestreut werden. Pandora bedeutet „die alles Gebende“. Gleichzeitig gilt sie als die erste Frau der Menschheit, und bereits die Kirchenväter stellten die antike Göttin auf eine Stufe mit der christlichen Eva. Scharffs Plastik schließt folglich beide Aspekte ein: Pandora als Verkörperin des Schicksals und als Mutter der Menschlichkeit.
Die Plastik ist eine Stiftung von Frau Hirschfeld-Scharff an das Wilhelm-Lehmbruck-Museum.